Dies ist Teil 2 meiner Blogserie zum Thema Zwillingsverlust. In dieser Serie erfährst du, wie sich der Tod eines Zwillings in verschiedenen Lebensphasen auswirken kann – auf die zurückgebliebenen Zwillinge ebenso wie auf deren Eltern.
Falls du Teil 1 über den Verlust eines Zwillings im Mutterleib noch nicht gelesen hast, findest du ihn hier:
In diesem Beitrag geht es um den Verlust eines Zwillings nach der Geburt bis zum Beginn der Pubertät. Du erfährst unter anderem:
- Wie tief die Verbindung zwischen Zwillingen in der Kindheit ist
- Warum der Verlust für Kinder so einschneidend ist
- Welche Trauerreaktionen sich zeigen können
- Wie Eltern ihre Kinder in dieser Ausnahmesituation begleiten können
- Was überlebenden Zwillingen hilft, ihren eigenen Weg zu finden
Wenn ein Zwilling geht – und der andere bleibt
Ein Zwilling kennt kein Leben ohne den anderen. Von Anfang an war da dieses „Wir“: gemeinsam einschlafen, aufwachen, spielen, streiten, lachen. Zwei Leben, die so eng miteinander verwoben sind, dass sie oft wie eines erscheinen. Und plötzlich ist nur noch einer da.
Der Tod eines Zwillings in der Kindheit – sei es durch Krankheit, Unfall oder andere Umstände –ist ein tiefer Einschnitt. Denn das überlebende Kind verliert nicht nur seinen besten Freund oder seine engste Bezugsperson – sondern auch einen Teil seiner Identität. Viele Kinder können noch nicht begreifen, dass der Zwilling nicht wiederkommt. Die Lücke ist riesig.
Die meisten Zwillinge sehen sich in diesem Alter noch nicht als eigenständige Persönlichkeiten, sondern als Teil einer Einheit. Stirbt der eine, bricht für den anderen ein Teil seines Selbst weg. Es fühlt sich nicht mehr vollständig – als würde die Hälfte fehlen. Es weiß noch nicht, wer es ist ohne den anderen. Das Einsamkeitsgefühl ist überwältigend und der Schmerz darüber sitzt tief – oft tiefer, als es das Umfeld erahnt.
Wenn Trauer keinen Platz hat
Eltern stehen oft selbst unter Schock. Sie trauern, sind überfordert, fühlen sich sprachlos. Um das überlebende Kind zu „schützen“, schweigen sie oder überspielen ihre Gefühle. Doch Kinder spüren alles und es entsteht leicht ein Teufelskreis: Das Kind spürt, dass etwas nicht stimmt, darf aber nicht darüber sprechen. Gefühle werden abgewehrt oder übersehen. Das kann zu einer tiefen inneren Verunsicherung führen. Das Selbstgefühl gerät ins Wanken.
Wenn sie keine Möglichkeit bekommen, über ihre Trauer zu sprechen, suchen sie sich andere Wege. Häufige Reaktionen sind:
- Depressionen
- Trennungsangst
- Schlafprobleme
- Albträume
- Wutanfälle
- Appetitlosigkeit
- Rückzug
- Traurigkeit
- Entwicklungsrückschritte
Manche Kinder entwickeln eine besonders enge Bindung zu Kuscheltieren oder Haustieren. Sie übernehmen stellvertretend die Rolle des verstorbenen Zwillings und dienen als Ersatz oder emotionale Stütze. Andere fantasieren, dass ihr Zwilling unsichtbar noch da ist – als imaginärer Freund.
Wenn Erinnerungen bleiben – und schmerzen
Im Unterschied zu Zwillingen, die ihren Zwilling im Mutterleib verloren haben, erinnern sich viele Kinder noch an gemeinsame Momente: an Spiele, Lachen, vielleicht auch an den letzten gemeinsamen Tag. Es gibt Fotos, Spielsachen, Orte. Das macht die Bindung noch greifbarer – und gleichzeitig den Verlust noch schmerzhafter.
Besonders belastend kann es sein, wenn das überlebende Kind den Tod miterlebt hat – etwa bei einer langen Krankheit oder einem plötzlichen Unfall. Dann kommt zur Trauer häufig auch ein Schock hinzu. Und manchmal: Schuldgefühle.
- „Warum ist er gestorben – und nicht ich?“
- „Hätte ich ihn retten können?“
- „Haben Mama und Papa lieber den anderen gehabt?“
Diese Gedanken bleiben selten aus – besonders wenn der verstorbene Zwilling von den Eltern idealisiert wird oder wenn das Kind sich schon früher für den anderen verantwortlich fühlte.
Was eineiige Zwillinge besonders bewegt
Bei eineiigen Zwillingen kommt eine zusätzliche Ebene hinzu: Der Blick in den Spiegel. Immer wieder sehen sie das Gesicht des verlorenen Geschwisters – in sich selbst. Das kann tröstlich sein, aber auch sehr schmerzhaft.
Einige Kinder lassen ihren Zwilling in der Fantasie weiterleben. Sie spüren seine Gegenwart, sprechen mit ihm oder glauben, dass er sie durchs Leben begleitet. Andere entwickeln Ängste – etwa vor Geistern oder der Vorstellung, selbst bald zu sterben.
Wenn über den Verlust nicht gesprochen wird
Viele Familienangehörige, Lehrkräfte oder Freunde meiden das Thema aus Unsicherheit oder Angst, etwas falsch zu machen. Doch gerade das Schweigen macht es für das Kind noch schwerer. Es fühlt sich mit seiner Trauer allein gelassen. Dabei braucht es genau jetzt Menschen, die offen sprechen, Fragen beantworten und Sicherheit geben.
Wenn der Verlust sich ankündigt – etwa bei unheilbaren Erkrankungen – ist es wichtig, das gesunde Kind mit einzubeziehen. Es braucht altersgerechte Informationen, das Gefühl von Sicherheit und die Möglichkeit, sich zu verabschieden. Auch Geschwister außerhalb des Zwillingspaares sollten mit einbezogen werden.
Was Eltern jetzt tun können
Dein Kind braucht dich – nicht nur mit Worten, sondern mit Herz, Zeit und Aufmerksamkeit. Das bedeutet nicht, dass du immer stark sein musst. Es reicht, da zu sein. Zu hören. Und ehrlich zu antworten.
Hier sind einige Dinge, die deinem Kind helfen können:
- Sprich offen über den Verlust. Auch wenn du selbst traurig bist – Kinder spüren, wenn etwas unausgesprochen bleibt.
- Binde dein Kind mit ein. Wenn ihr Sachen des verstorbenen Zwillings aussortiert, fragt nach, was behalten werden soll. Vielleicht möchte es selbst etwas aufbewahren.
- Ermögliche Rituale. Gemeinsames Erinnern, Kerzen anzünden, Fotos anschauen – all das gibt Halt.
- Gib Raum für Fragen – auch, wenn du selbst keine Antworten hast.
- Frage nach der Beerdigung. Lass dein Kind selbst entscheiden, ob es dabei sein möchte.
- Zeige deine Liebe. Umsorge dein Kind mit Nähe und Aufmerksamkeit – ohne es zu überbehüten.
- Gib Sicherheit: Mach deutlich, dass es gesund ist und nicht dasselbe Schicksal erleiden wird.
- Hole dir Hilfe. Wenn du merkst, dass dein Kind sehr leidet – oder du selbst an deine Grenzen kommst – dann ist es okay, dir Unterstützung zu holen.
Was überlebende Zwillinge stärkt
Wenn du als Kind deinen Zwilling verloren hast, kann sich das auch Jahre später noch in dir zeigen. In bestimmten Lebensphasen kommt der Schmerz oft zurück – etwa wenn du selbst ein Kind bekommst oder in einer Beziehung besonders verletzlich bist. Vielleicht kommt eine Traurigkeit hoch, die du dir selbst nicht erklären kannst. Oder ein Gefühl, als würde dir etwas fehlen.
Das ist verständlich. Und du bist damit nicht allein.
Was dir helfen kann:
- Sprich über deine Gefühle. Mit deinen Eltern, einer vertrauten Person oder jemandem, der sich mit Zwillingsverlust auskennt.
- Erinnere dich aktiv. Besuche Orte, die euch beiden wichtig waren. Schaue alte Bilder an oder schreibe Briefe an deinen Zwilling.
- Gib deinem Zwilling innerlich einen Platz – und nimm gleichzeitig deinen eigenen ein.
- Finde neue Wege und erlaube dir zu Leben. Auch wenn dein Zwilling nicht mehr bei dir ist: Du darfst deinen Weg weitergehen und musst nicht traurig bleiben, um die Verbindung zu halten. Suche dir Hobbys, Interessen und Beziehungen, die dir guttun.
- Erlaube dir Trauer – und Freude. Du musst nicht jeden Tag traurig sein, um die Verbindung aufrechtzuerhalten.
Viele überlebende Zwillinge berichten, dass der Schmerz nie ganz verschwindet – aber er kann sich verändern. Es ist möglich, einen inneren Frieden zu finden. Und ein Leben zu führen, das nicht mehr von Schuld und Verlust bestimmt ist.
Wenn der Verlust Jahre später wieder auftaucht
Vielleicht bemerken Eltern oder Betroffene gar nicht sofort, wie stark der Verlust wirkt. Doch oft kehrt das Thema später zurück – manchmal unerwartet, manchmal mit voller Wucht. Viele überlebende Zwillinge berichten, dass bestimmte Lebensphasen alte Gefühle neu aufbrechen lassen:
- wenn das eigene Kind das Alter des verstorbenen Geschwisters erreicht
- wenn sie eine enge Beziehung eingehen und sich besonders verletzlich fühlen
- wenn es um Themen wie Trennung, Nähe oder Identität geht
Dann kann sich das alte Gefühl von Leere oder Schuld erneut zeigen – auch wenn viele Jahre vergangen sind. Es lohnt sich, diese inneren Bewegungen ernst zu nehmen. Denn sie zeigen: Die Verbindung zu einem verlorenen Zwilling bleibt bestehen. Und manchmal braucht sie erneut Aufmerksamkeit, damit Heilung weitergehen kann.
Wie ich dich begleiten kann
Ich begleite als Zwillingsexpertin sowohl (Einzel-)Zwillinge ab der Pubertät als auch Eltern, die den Verlust eines Zwillingskindes gemeinsam mit dem überlebenden Kind verarbeiten wollen.
In meiner Arbeit biete ich dafür Einzelcoachings für Jugendliche und Erwachsene sowie Beratungsgespräche für Zwillingseltern an – individuell, empathisch und mit dem Fokus auf Identitätsstärkung, Umgang mit Trauer und neue Perspektiven.
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Deine Ilka
Ausblick Teil 3: Wenn der Verlust in der Jugendzeit geschieht
Im nächsten Teil geht es um den Verlust eines Zwillings in der Jugendzeit – eine Lebensphase in der viele Zwillinge beginnen, sich voneinander zu lösen und ihre eigene Identität zu finden. Doch was passiert, wenn genau in dieser sensiblen Zeit einer von beiden geht?
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